Optimierung für die Energiewende - Teil 2

8.6.2022
Wie versteht ein Computer die zahlreichen Anforderungen an einen optimalen Produktionsplan für eine Anlage zur Aluminiumherstellung? Er nutzt mathematische Modelle! Wir schauen hinter die Kulissen…

von Tim Varelmann

In Teil 1 dieser Serie habe ich beschrieben, was bei der Aluminiumherstellung passiert, und erklärt, wie flexible Aluminiumproduktion einen Beitrag zur Energiewende leisten kann, wenn der Produktionsplan optimiert wird. Jedes Optimierungsproblem ist die Beschreibung einer komplizierten Entscheidungsaufgabe. In diesem Fall ist die Entscheidung: Wie sollte die Aluminiumanlage produzieren, um minimale Stromkosten zu haben, ohne dabei die Sicherheit zu gefährden und weiterhin die normale Aluminiummasse zu produzieren? Das klingt tatsächlich kompliziert…

Die Entscheidungsvariablen

Wir teilen das Problem darum in kleinere Teile und beschreiben Stromverbrauch, Stromkosten, Sicherheit und Produktion nacheinander. Dabei fangen wir mit dem wichtigsten Teil der Beschreibung an, unseren Entscheidungsvariablen. Wir entscheiden über die elektrische Energie, welche die Anlage zu jedem Zeitpunkt aufnehmen soll. Wir schreiben Zeit als t und die aufgenommene elektrische Energie als E[t]. Da es in jeder Stunde einen neuen Strompreis gibt, teilen wir den Tag in 24 relevante Zeitpunkte und bekommen 24 Entscheidungsvariablen:

E[1], E[2], E[3], ..., E[24]

Um die Produktionskosten zu beschreiben, brauchen wir die stündlichen Preise, wir schreiben sie als p[t]. Das Ziel unserer Entscheidung ist die Minimierung der Stromkosten:

min p[1]*E[1] + p[2]*E[2] + ... + p[24]*E[24]

Anlagensicherheit

Um die Sicherheit der Anlage zu gewährleisten, muss unser Produktionsplan garantieren, dass die Masse aus flüssigem Aluminium und Bauxit jederzeit eine Temperatur hat, die in einem sicheren Bereich liegt. Wird die Höchsttemperatur überschritten, drohen Teile der Anlage zu schmelzen, wenn die Tiefsttemperatur unterschritten wird, fängt die Bauxit-Aluminium-Masse an, fest zu werden, was ebenfalls schädlich für die Anlage ist. Mit der Prozesstemperatur T[t] beschreiben wir die Sicherheitsbedingungen als:

T[t] < Tmax; für alle t = 1, ..., 24
T[t] > Tmin; für alle t = 1, ..., 24

Für Tmax und Tmin setzen wir dazu Zahlen aus dem Sicherheitshandbuch der Elektrolyseanlage ein. Nun haben wir Bedingungen für die Sicherheit der Anlage als mathematische Ungleichungen formuliert. Dies ist eine Art und Weise, die ein Computer verstehen kann. Damit wir nun eine Entscheidung treffen können, die solche Bedingungen berücksichtigt, müssen wir auch noch formulieren, wie unsere Entscheidungen die Temperatur der Bauxit-Aluminium-Masse beeinflussen.

erstellt auf imgflip.com

Wie in Springfield gelten auch bei der Aluminiumelektrolyse die Gesetze der Thermodynamik, insbesondere die Energieerhaltung. Wir stellen also eine Energiebilanz auf, um zu modellieren, dass die Differenz von eingehender Energie und ausgehender Energie im Prozess gespeichert wird – in Form von thermischer Energie, also Temperatur.

Wir können den Energieverbrauch, den die Anlage mit einer konstanten und unflexiblen Produktionsstrategie hätte, mit E0 bezeichnen. Die Energie, welche aus dem energiearmen Bauxit das energiereichere Aluminium macht, ist ausgehende Energie. Um die Elektrolyse vereinfacht darzustellen, können wir annehmen, dass diese Energie E0 in jeder Stunde aus dem Bilanzraum austritt – so wurde die Anlage nämlich ursprünglich ausgelegt. Die eingehende Energie wird bestimmt von unseren Entscheidungsvariablen in jeder Stunde. Schließlich beschreibt die sogenannte Wärmekapazität C wie viel Energie die Bauxit-Alu-Masse aufnimmt um ihre Temperatur um ein Grad zu erhöhen. Wärmekapazität ist also ein Koeffizient mit der Dimension Energie pro Temperatur, der Eigenschaften des Materials in der Anlage beschreibt.

Damit können wir nun schreiben:

T[t+1] - T[t] =(E[t] - E0)/C; für alle t = 1, ..., 23

Diese Bilanz beschreibt, dass die Temperatur der Bauxit-Alu-Masse steigt, wenn wir mehr elektrische Energie als üblich abrufen, und dass die Temperatur wieder fällt, wenn wir weniger elektrische Energie als üblich abrufen.

Produktion

Unser Modell beschreibt jetzt, welche Entscheidungen der Produktionsplan treffen kann, welches Ziel die Entscheidungen verfolgen, und unter welchen Bedingungen die Anlage sicher produziert. Zum Schluss stellen wir sicher, dass unsere flexible Produktionsstrategie genug Aluminium produziert, um die Lieferverträge der Anlage einzuhalten.

Die Aluminiumproduktion bei einer konstanten und unflexiblen Productionsstrategie bezeichnen wir mit  m0Alu Tonnen Aluminium pro Stunde und verwenden dabei wieder die hochgestellte Null. Eine flexible Produktionsstrategie sollte daher ebenfalls eine durchschnittliche Produktion von m0Alu gewährleisten. Darum müssen die stündlichen Produktionsraten mAlu[t] folgende Bedingung erfüllen:

mAlu[1] + mAlu[2] + ... + mAlu[24] = 24 * m0Alu

Wie schon bei T[t] haben wir mit mAlu[t] neue Variablen eingeführt um eine Bedingung für den Computer verständlich zu beschreiben, und brauchen jetzt weitere Beschreibungen, wie die neuen Variablen von unseren Entscheidungen beeinflusst werden. Wir wissen bereits, dass eine Produktion mit E0 zu einer stündlichen Aluminiumproduktion von m0Alu führt. Ein erster Gedanke wäre zu erwarten, dass bei Erhöhung der aufgenommenen elektrischen Energie um – sagen wir 20 % – auch eine um 20 % erhöhte Aluminiumproduktion stattfindet. Und tatsächlich stimmt dies auch als grobe Richtung, aber nicht exakt. Der Grund dafür ist, dass die Anlage am besten funktioniert, wenn sie mit E0 betrieben wird. Für eine Produktion bei E0 wurde die Anlage vor vielen Jahren ausgelegt, als man noch geplant hatte, sie für immer so produzieren zu lassen. Läuft die Anlage anders, kommt es zu leichten, aber spürbaren Effizienzverlusten. Würde man also die aufgenommene elektrische Energie um 20 % erhöhen, würde die Aluminiumproduktion um nur 19 % steigen. Und wenn die aufgenommene elektrische Energie um 20 % gesenkt wird, könnte die Aluminiumproduktion um 21 % sinken. Außerdem gilt: Je größer die Abweichung von E0, desto größer der Effizienzverlust. Da wir vielleicht für einen beträchtlichen Teil eines jeden Tages mit maximaler und minimaler Kapazität produzieren wollen, ist dies eine wichtige Eigenschaft der Anlage, über die wir den Computer mit unseren Beschreibungen informieren müssen. Diesen Effekt können wir mit den folgenden Gleichungen beschreiben:

mAlu[t] = a3*E[t]3 + a2*E[t]2 + a1*E[t]

Wobei a3, a2, und a1 passende Zahlen sind, die hier nicht weiterhelfen. Stattdessen zeige ich eine grafische Darstellung des beschriebenen Zusammenhangs:

Die gestrichelte blaue Linie zeigt einen proportionalen Zusammenhang zwischen Anlagenleistung und Aluminiumproduktion bei der eine erhöhte Anlagenleistung die Produktion im exakt gleichen Maß erhöht. Der reale, orange gezeichnete Zusammenhang enthält auch Effizienzverluste und liegt darum unterhalb der blauen Linie.

Und warum 'Modell'?

Nun haben wir einen ganzen Satz von Gleichungen und Ungleichung gesammelt, die allesamt beschreiben, wie der gesuchte optimale Produktionsplan aussehen soll. Diese mathematische Beschreibung wird als 'Modell' für unser Optimierungsproblem bezeichnet. Im Gegensatz zum realen Problem haben wir nur relevante Aspekte der Realität modelliert und einige Annahmen getroffen, die uns das Leben leichter machen. So haben wir beispielsweise eine einfache Beschreibung der Elektrolyseenergie in der Energiebilanz angenommen und den Wärmeverlust an die Umgebung der Anlage vernachlässigt, außerdem ist die polynomielle Beziehung zwischen Energieverbrauch und Aluminiumproduktion natürlich auch nicht präzise im Sinne der Quantenphysik...

Ganz genau genommen stimmen diese Annahmen nicht, aber unsere Beschreibung ist trotzdem nah genug an der Realität, so dass die optimale Lösung für unsere leicht realitätsferne Beschreibung des Produktionsplans auch in der echten Welt eine sehr gute Entscheidung ist, welche wir dank der vereinfachenden Annahmen auf Knopfdruck bestimmen können. Diesen Vorgang beschreibt der nächste Teil.

Um zu besprechen ob auch dein Prozess mathematisch modelliert werden kann, melde dich bei mir!

Referenzen:

Das hier beschriebene Modell ist eine vereinfachte Form des Modells welches in [1] entwickelt und dann unter anderem in [2] und [3] verwendet wurde.

[1] Schäfer, P., Westerholt, H.G.,Schweidtmann, A.M., Ilieva, S., Mitsos, A., 2019. Model-based bidding strategies on the primary balancing market for energy-intense processes. Comput. Chem. Eng. 120, 4–14.

[2] Schäfer, P., Hansmann, N., Ilieva,S., Mitsos, A., 2019. Model-based bidding strategies for simultaneous optimal participation in different balancing markets. In: Computer Aided Chemical Engineering, Vol. 46. Elsevier, pp. 1639–1644.

[3] Varelmann, T., Erwes, N., Schäfer, P., Mitsos, A., 2021, Simultaneously optimizing bidding strategy in pay-as-bid-markets and production scheduling. Comput. Chem. Eng. 157, 107610.

Dank an Fabian Viefhues für das Korrekturlesen dieses Artikels und seine aufmerksamen Hinweise.

Weitere Beiträge

Die Vorzüge mathematischer Modelle

Modellbasierte digitale Transformation ist DAS Mittel der Wahl, um Branchen in die digitale Zukunft zu führen. Dieser Ansatz bietet einen schnellen Einstieg, ist agil umsetzbar und auf vielen Ebenen wertvoll.

23.11.2022
Wie man erfolgreich promoviert

Im Sommer habe ich meine Promotionsurkunde bekommen, die den Erfolg meiner Forschung im Bereich der Entwicklung mathematischer Optimierungsalgorithmen und -software bescheinigt. Zu diesem Anlass habe ich über meinen bisherigen Weg nachgedacht und darüber, was ich anders machen würde - hier ist das Ergebnis.

21.9.2022

Starten Sie Ihr Projekt noch heute

Moderne Software und mathematische Präzision bringt Sie Ihren Zielen näher.
Jetzt Projektanfrage stellen